Der Eurovision Song Contest (ESC) in Basel soll nicht nur ein Fest werden, sondern auch ein Geschäft. Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt rechnet damit, dass er etwa 62 Millionen Franken lokale Wertschöpfung erzielt, wie er in einem Ratschlag schreibt. Die 38 Millionen Franken, die er investiert, hätten sich dann gelohnt. Doch stimmt das auch?
Studien zur Wertschöpfung dienen immer wieder dazu, Grossanlässe zu rechtfertigen. Die Stadt Bern gab 2016 bekannt, ein Halt der Tour de France habe Wertschöpfung «in Millionenhöhe» gebracht. Die Stadt Zürich rechtfertigte ihre Ausgaben für die Rad-Weltmeisterschaften 2024 mit einer Wertschöpfung von «bis zu 60 Millionen Franken». Für die Eishockey-WM, die nächstes Jahr in Zürich stattfindet, kalkuliert sie mit einer «Bruttowertschöpfung von 60 Millionen Franken».
Auch private Kulturveranstalter setzen auf die Wirkung der grossen Zahlen. Das «Lucerne Festival» behauptete im Januar mit Verweis auf die Studie einer «international tätigen Beratungsfirma», jede Ausgabe generiere eine Wertschöpfung von bis zu 50 Millionen Franken. Das Doppelkonzert von Taylor Swift in Zürich im Sommer 2024, so berechnete die Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ) im Auftrag von Ticketcorner, habe 92,5 Millionen Franken Wertschöpfung gebracht. Die Organisatoren des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfests in Mollis GL im August wiederum versprechen 35 Millionen Franken.
Solche Berechnungen sind selbst auf offizieller Seite umstritten. So sagte die Ökonomin Esther Arnet, die die Stadtzürcher Dienstabteilung Verkehr leitet, kürzlich an einem Vortrag zur Rad-WM, sie halte «nichts» von derartigen Zahlen. Skeptisch ist auch Jürg Stettler, Professor am Institut für Tourismus und Mobilität der Hochschule Luzern. Er beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema. Die Wirkung einmaliger Anlässe werde oft überschätzt, sagte er im Januar zur «Hotelrevue»: «Zudem schaffen es nur wenige Orte, langfristig davon zu profitieren.»
Die Zahlen, auf die sich die Basler Regierung, aber auch die SRG stützen, stammen aus einer Studie der Universität Liverpool für die Ausgabe 2023 in ihrer eigenen Stadt. Die Autoren haben Besucherinnen und Besucher befragt, Beobachtungen angestellt, offizielle Daten und ökonomische Indikatoren ausgewertet.
Sie kommen zum Schluss, dass die Gäste in Liverpool 54,9 Millionen Pfund ausgegeben haben – die oft zitierten 62 Millionen Franken zum damaligen Umrechnungskurs. Zum heutigen wären es 59 Millionen Franken. Nicht inkludiert sind Ausgaben, die nicht lokal angefallen sind, etwa für die Anreise mit dem Flugzeug oder die Übernachtung in einem Hotel ausserhalb der Stadt.
Mit dieser Zahl gibt es drei Probleme: Sie berücksichtigt erstens nicht, dass auch ohne ESC Gäste nach Liverpool gekommen wären und dass der Event zu Einbussen geführt hat, weil andere Anlässe dafür nicht stattfanden. Diesen Effekt beziffern die Forscher auf etwa 13 Millionen Franken, womit die Netto-Ausgaben der Gäste auf etwa 46 Millionen Franken sinken. Etwa 35 Prozent davon gaben sie für die Verpflegung aus, 31 Prozent für Unterkünfte. In anderen Städten wie Basel kann dieser Effekt stärker sein.
Zweitens sind in dieser Zahl die Ausgaben der Organisatoren nicht enthalten, etwa für den Aufbau der Bühne oder Hotelzimmer für die Crews. Diese beziffern die Forscher auf umgerechnet knapp 12 Millionen Franken.
Drittens werden in dieser Zahl indirekte Effekte nicht berücksichtigt. Wenn Gäste in einem Restaurant essen, schafft das nicht nur Wertschöpfung im Lokal, sondern auch bei den Zulieferern. Werden solche Effekte berücksichtigt, steigen die Ausgaben der Gäste laut Universität Liverpool etwa um 30 Prozent. Ähnliche Effekte zeigen sich bei den Ausgaben der Organisatoren.
Für den diesjährigen ESC wird die Beratungsfirma EBP eine ähnliche Studie erstellen. Die EBP-Autorin Josephine Clausen sagt, ihr Analysemodell basiere auf Input-Output-Tabellen. Solche dienen der Beschreibung eines Güterkreislaufs einer Volkswirtschaft. Erfasst würden die Ausgaben aller relevanten Akteure und Besuchergruppen.
Bei der Auswertung werde zwischen direkten und indirekten Effekten unterschieden. Um die Daten zum Ausgabeverhalten der Besuchenden zu erheben, wird EBP eine Umfrage durchführen. Die Gäste werden etwa gefragt, wie viel sie für die An- und Abreise sowie die Übernachtung bezahlen und wie viel Geld sie an Verpflegungsständen, in der Gastronomie und im Detailhandel liegen lassen.
Das Vorgehen ist methodisch unbestritten, löst aber nicht die grundsätzlichen Probleme solcher Studien. Es stellen sich Fragen, wie: Hat Basel etwas von der Wertschöpfung, die entsteht, wenn ESC-Gäste ihr Mittagessen in einer Migros-Filiale einkaufen?
Oft fällt ein grosser Teil der Wertschöpfung auch gar nicht vor Ort an. Das zeigen die Zürcher Taylor-Swift-Konzerte: Fast 16 Millionen Franken der 92,5 Millionen Franken Wertschöpfung bestehen aus Reisekosten der Gäste aus den USA, die grösstenteils an ausländische Airlines geflossen sein dürften. Über 24 Millionen Franken wurden für Tickets ausgegeben. Ein Teil dieses Erlöses floss ebenfalls ins Ausland ab. Dafür profitierten andere Schweizer Regionen: Von etwa 11'000 Besuchern von ausserhalb Europas besuchten 74 Prozent danach eine andere Schweizer Region. Sie sorgten für durchschnittlich 3,9 Übernachtungen, hiesige Gäste nur für 0,3.
Am ESC dürfte hingegen ein grösserer Teil der Gäste aus dem Inland kommen. In Liverpool reisten nur 10 Prozent der Besucher aus dem Ausland an und über die Hälfte aus der Grossregion Liverpool. Die derzeit hohen Hotelpreise in Basel deuten immerhin darauf hin, dass auch viele Schweizer Gäste den ESC-Besuch mit Übernachtungen verbinden. Zudem wird EBP die Wertschöpfung nach Region aufschlüsseln.
Ein weiteres Argument für Grossanlässe ist der Nutzen fürs Image, der durch Fernsehbilder oder Posts in sozialen Medien entsteht. Tourismus-Experte Jürg Stettler glaubt aber, dass die mediale Wirkung von Grossanlässen oft überschätzt wird. Die Effekte verpufften meist schnell, sagte er der «Hotelrevue». So erinnerten sich viele nicht mehr an frühere Austragungsorte der Olympischen Spiele. Werbewirkung kann sich zudem ins Gegenteil verkehren: Den ESC in Malmö von 2024 verbinden viele mit Demonstrationen gegen die israelische Teilnehmerin, die Rad-WM in Zürich mit dem Unfalltod der Radfahrerin Muriel Furrer.
Laut Stettler reicht ein Event alleine sowieso nicht. Es brauche eine klare Vision und Strategie über Jahre hinaus. Lenzerheide etwa habe sich vor über zehn Jahren dem Mountainbike verschrieben und investiere seither konsequent in die Infrastruktur. Davon profitierten mittlerweile viele Veranstaltungen. Diese Grossanlässe seien ins Angebot eingebettet, nicht umgekehrt.
Der ESC und Basel als Kulturstadt würden grundsätzlich gut zusammenpassen, findet Stettler. Zudem werde die mediale Ausstrahlungskraft für den Moment gross sein. Dass es aber danach zu mehr Buchungen komme, glaube er nicht.
Aus ökonomischer Sicht dürfte der ESC Basel möglicherweise weniger bringen, als Studien glauben machen. Doch das ist nur ein Aspekt von vielen. Grossanlässe gehören zu Städten. Sie schaffen für Einheimische und Gäste im besten Fall einmalige Erlebnisse. Die Ausgabe in Basel kann auch dann zum Grosserfolg werden, wenn nicht Dutzende Millionen Franken Wertschöpfung hängen bleiben – sondern stolze Einwohnerinnen und Einwohner und zufriedene Gäste.
In Basel hat der Grosse Rat für die Durchführung des ESC im Mai netto 35 Millionen Franken gesprochen. Steuergelder also.
Die "Wertschöpfung" ist in diesem Fall eigentlich eine indirekte Subvention. Das ist nicht per se schlecht, dient aber kaum als positives Argument für die Durchführung eines solchen Anlasses.
Ich bin nicht überzeugt, ob die Basler wirklich stolz über die Austragung eines ESC sein werden. Insbesondere dann nicht, wenn es zu Demonstrationen oder gar Ausschreitungen kommt. Egal was die Ursache ist.
Weiss man eigentlich, ob frühere ESC wirklich finanziell erfolgreich waren? Oder wird der angebliche Erfolg lieber mit "Wertschöpfung" schön geredet?