Am 14. Juni sind in den Schweizer Städten wieder ganz viele violette Fahnen, Plakate und Banner zu erwarten – denn der nationale feministische Streik findet statt. Der erste damals noch sogenannte Frauenstreik wurde 1991 – 20 Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts – von einer gewerkschaftlichen Frauengruppe lanciert. Es nahmen eine halbe Million Frauen daran teil, die unter anderem wegen der ungenügenden Umsetzung des Gleichstellungsartikels protestierten.
Auch 2024 stellen die Gewerkschaften neue Forderungen für mehr Gleichstellung auf.
Wir haben uns gefragt, ob Frauen in der Schweiz wirklich noch Opfer von Gewalt, Belästigungen, Diskriminierung und Benachteiligungen werden und wie die Zahlen und Fakten dazu aussehen. Nach diesen Grafiken wirst du verstehen, weshalb so viele Streikende am 14. Juni auf die Strasse gehen.
Alle zwei Wochen wird in der Schweiz eine Person infolge häuslicher Gewalt umgebracht. 75 Prozent davon sind Frauen und Mädchen, so das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann.
Im letzten Jahr sind laut Bundesamt für Statistik (BFS) 16 Frauen, 5 Männer und 4 Minderjährige aufgrund von häuslicher Gewalt getötet worden. Seit Beginn der statistischen Aufzeichnung gab es jedes Jahr deutlich mehr Frauen, die Opfer eines Tötungsdeliktes wurden, als Männer.
Oft wird in diesem Zusammenhang auch der Begriff Femizid verwendet, der ein Tötungsdelikt an Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts beschreibt.
Die Zahlen vom BFS bestätigen, dass der Begriff Femizd seine Berechtigung hat – denn Frauen sind mehrheitlich Opfer von Tötungsdelikten häuslicher Gewalt und Männer mehrheitlich Täter. Im letzten Jahr wurden 19 Männer, drei Frauen und eine minderjährige Person als Täter eines Tötungsdeliktes beschuldigt.
Anders als das BFS zählt das Schweizer Rechercheprojekt stopfemizid.ch nicht nur die Tötungsdelikte in Folge häuslicher Gewalt, sondern auch die Femizide, in denen die Täter keine Beziehung zu den Opfern hatten. Laut dieser Recherche wurden in diesem Jahr bereits sieben Frauen Opfer eines Femizids. 2023 zählte die Plattform 21 Femizide, darunter drei Mädchen.
Ein Femizid ist die schlimmste Folge von Gewalt an Frauen. Doch Gewalt beginnt oft schon viel früher. Dabei gibt es verschiedene Formen von Gewalt: Körperliche, sexuelle, psychische oder wirtschaftliche.
In der Schweiz haben im letzten Jahr 1261 Frauen und 1166 Kinder Schutz in einem Frauenhaus gesucht. Die Dachorganisation für Frauenhäuser Schweiz und Lichtenstein gibt an, dass 2023 rund 93 Prozent der Gefährder männlich waren (2 Prozent weiblich, 4 Prozent divers und 1 Prozent unbekannt). In 78 Prozent der Fällen ging die Gewalt von einer Paarbeziehung aus.
Gewalt wird oft hinter verschlossenen Türen – dort wo es niemand sieht – ausgeübt. 2023 wurden 11'479 von häuslicher Gewalt geschädigte Personen polizeilich registriert, davon waren über 70 Prozent weiblich (8047 Personen). Bei den beschuldigten Personen handelt es sich zu 71 Prozent um Männer, 26 Prozent um Frauen und 3 Prozent sind Minderjährige.
In der Schweiz hat laut der Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kinder jede fünfte Frau ab 16 Jahren mindestens einen sexuellen Übergriff erlebt und mehr als jede zehnte Frau erlitt Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen. Die polizeiliche Kriminalstatistik vom Bundesamt für Statistik hat im letzten Jahr 2384 Frauen und 1442 weibliche Minderjährige registriert, die sexualisierte Gewalt erfahren haben. Seit Beginn der statistischen Aufzeichnung gab es deutlich mehr weibliche Betroffene als männliche.
2023 waren 86 Prozent der gemeldeten Opfer weiblich, 14 Prozent waren männlich. Am häufigsten wurde sexuelle Belästigung gemeldet (1427 weiblich und 164 männlich). Danach folgten Straftaten im Bereich sexuelle Handlungen mit Kinder (779 weiblich und 286 männlich). Auch die gemeldeten Vergewaltigungen waren 2023 hoch (822 weiblich und 0 männlich).
Laut den Zahlen vom Bundesamt für Statistik waren 96 Prozent der beschuldigten Personen männlich. Bei allen Straftaten von sexualisierter Gewalt wurden deutlich mehr Männer beschuldigt als Frauen.
Hierzulande sind laut Schätzungen vom Bundesamt für Polizei pro Jahr rund 1500 bis 3000 Personen von Menschenhandel betroffen, gesicherte Zahlen gibt es dazu jedoch nicht. Zirka 80 Prozent der Opfer sind weiblich, so die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration. Rund zwei Drittel aller betroffenen Personen wurden in der Prostitution ausgebeutet.
Zu den Ursachen schreibt die Opferschutzorganisation:
Da es sich bei den Opfern von Menschenhandel mehrheitlich um Migrant:innen handelt, werden diese von der Schweizerischen Ausländergesetzgebung oft nicht als Opfer angesehen, sondern werden wegen illegalem Aufenthalt ausgeschafft.
Psychische Gewalt ist oft von aussen unsichtbar. Oftmals ist psychische Gewalt Teil einer Gewaltspirale von Häuslicher Gewalt und ist die häufigste Form der Gewalt in Paarbeziehungen. Unter psychischer Gewalt fallen Beleidigungen, Erniedrigungen, Drohungen, Stalking, Einschüchterungen, Morddrohungen, Erzeugen von Schuldgefühlen, Verbote und Kontrolle.
Die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik zeigen, dass Drohungen und Beschimpfungen nach Tätlichkeiten die häufigsten Straftaten im Bereich häuslicher Gewalt waren.
Auch bei diesen Straftaten wurden deutlich mehr weibliche Personen als Geschädigte registriert als männliche.
Die Beschuldigten sind mehrheitlich männlich. Da psychische Gewalt oft subtil geschieht und schwer fassbar ist, gehen NGOs von einer grossen Dunkelziffer aus, die alle Geschlechter betrifft. Die meisten Fälle von psychischer Gewalt werden nicht angezeigt.
Laut Bundesamt für Statistik liegt das Einkommen von Frauen im Durchschnitt 43,2 Prozent unter demjenigen der Männer (Gender Overall Earnings Gap, GOEG). Grund dafür ist die schlechte Entlöhnung von Berufen mit hohem Frauenanteil. Zudem leisten Frauen im Vergleich zu Männern deutlich mehr unbezahlte Arbeit als Männer.
Auch die höheren Positionen sind in Branchen mit tiefem Lohnniveau und hohem Frauenanteil oft deutlich schlechter bezahlt als ähnliche Postionen in Branchen mit hohem Männeranteil. So ist beispielsweise der durchschnittliche Lohn für Führungsfunktionen in Restaurants, Hotels und im Detailhandel bei 6100 Franken. Der durchschnittliche Lohn für Führungskräfte in männerdominierten Berufen (z.B in der Industrie, auf dem Bau, in der IT) liegt bei rund 9300 Franken.
Laut Unicef hinkt die Schweiz bezüglich familienergänzender Kinderbetreuung anderen europäischen Ländern weit hinterher. Skandinavische Länder investieren bis zu 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts in Kinderbetreuungsangebote, in der Schweiz sind es 0,1 Prozent (die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) empfiehlt 1 Prozent). Damit liegt die Schweiz laut der Analyse von Unicef auf Platz 38 von 41 Ländern. Besonders Familien mit tiefem Einkommen verzichten aufgrund der fehlenden finanziellen Unterstützung auf familienergänzende Kinderbetreuung. Das ist ein weiterer Grund, weshalb Frauen oft viel unbezahlte Arbeit leisten.
Das Bundesamt für Statistik schreibt von einem Gender Pensions Gap, wenn es um die Renten von Frauen und Männer geht. Dieser Gap entsteht aufgrund dessen, dass Frauen oft Berufe ausüben, die schlechter entlohnt werden und deutlich mehr unbezahlte Arbeit ausüben als Männer und deshalb eine tiefere Rente erhalten. Zwar versucht die AHV diesen Gap als einzige Sozialversicherung auszugleichen, jedoch sind die AHV-Renten so tief, dass niemand im Alter seinen Lebensbedarf alleine mit der AHV abdecken kann. Knapp ein Drittel der Frauen erhält noch immer keine Rente aus der 2. Säule (Pensionskasse). 11 Prozent aller Frauen müssen direkt mit dem Renteneintritt Ergänzungsleistungen beantragen, um über die Runden zu kommen.
Die im letzten Jahr veröffentlichten Zahlen vom BFS aus dem Jahr 2021 zeigten, dass die durchschnittliche Jahresrente von Frauen 35'442 Franken und diejenige der Männer 52'735 Franken betrug. Frauen bekamen somit 17'293 Franken weniger.
Laut den Zahlen von Eurostat hat die Schweiz im europäischen Vergleich einen relativ hohen Gender Pensions Gap, der 2022 über dem europäischen Durchschnitt von 26 Prozent lag.