Auch Francois Lachat (83), der alte Löwe aus den legendären Zeiten des Kampfes um die Unabhängigkeit des Juras, ist da. Ein Chronist aus dem alten Bern begrüsst ihn in der Loge von Ajoie-Präsident Patrick Hauert als «Winston Churchill der jurassischen Politik». Darauf reagiert er sichtlich geschmeichelt mit dem weltberühmten Victory-Zeichen des einstigen britischen Premiers.
Der HC Ajoie kann am 10. April 2025 mit einem Heimsieg gegen Visp den Ligaerhalt sichern. Und als es mit einem nie gefährdeten 5:1 vollbracht ist, da scheint die Erleichterung so gross wie damals, als am 24. September 1978 die Schaffung des Kantons Jura nach Jahren der Verhandlungen und Abstimmungen endlich mit einem wuchtigen «Ja» des gesamteidgenössichen Stimmvolkes und den Zustimmungen aller Stände endlich, endlich vollzogen war.
Es wird gefeiert. Aber nicht ausgelassen und schon gar nicht hoffärtig. Es ist die Erleichterung, die nicht nur den Klub betrifft. Auch Liga-Manager Denis Vaucher tritt beruhigt den Heimweg ins Bernbiet an. Sorgsam auf politische Sensibilität bedacht, hat er das Spiel nicht in der präsidialen Loge verfolgt. Das wäre sicherlich von Visp argwöhnisch registriert worden. Er steht diskret oben auf dem Durchgang hinter den Sitzplätzen. Er hatte zuvor auch Visp bereits die Aufwartung gemacht. Was zeigen mag, wie wichtig für die Liga Ajoie geworden ist.
Tief ist natürlich das Aufatmen bei Präsident Patrick Hauert, seit 1999 im Amt. Er hat nämlich längst den Bau von acht neuen, zusätzlichen Logen auf der Längsseite des Stadions in Auftrag gegeben und finanziert. Jede einzelne ist bereits für 100 000 Franken pro Saison verkauft – für drei Jahre. Macht Einnahmen von netto 2,40 Millionen. Einfach sei das nicht gewesen. «Wir werden fast hundertprozentig durch die Wirtschaft in unserem Kanton unterstützt und die Uhrenkrise trifft uns alle hart. Aber es geht, die Lage dürfte sich stabilisieren.» Und was wäre, wenn Ajoie abgestiegen wäre? «Ganz ehrlich, ich weiss es nicht …»
Der HC Ajoie ist im Zuge der Pandemie, als es zweimal keine Absteiger, aber Direktaufsteiger gab (2021 Ajoie, 2022 Kloten) in die höchste Liga gestolpert. Viermal hintereinander sind die Jurassier nicht über den letzten Platz hinausgekommen, aber die Liga-Zugehörigkeit ist verteidigt worden.
Soeben haben sie im Wissen um die 2,40 Millionen in Aussicht stehenden Mehreinnahmen den Logenplatz in der obersten Liga mit allerlei «Buebetrickli» zusätzlich abgesichert: Erst wird der gefeuerte Trainer Christian Wohlwend nur gegen Rückzug des Aufstiegsgesuches für Olten freigegeben. Dann wird Olten mit Leihspielern so aufgerüstet, dass es den Solothurnern gelingt, mit La Chaux-de-Fonds auch den gefährlichsten zweiten Aufstiegsaspiranten zu bodigen. Visp ist schliesslich in der Liga-Qualifikation ein tapferer, aber letztlich chancenloser Gegner.
Trotzdem war Ajoie in Bedrängnis: Die ersten drei Partien sind alle in die Verlängerung gegangen. Ajoie gewann die zweite nach einem 0:3-Rückstand erst, nachdem Janik Fischer mit einem Check Visps besten Einzelspieler Adam Brodecki verletzt hatte. Seit dem Ausscheiden des Schweden hatte Visp mit Jacob Nilsson nur noch einen ernstzunehmenden Ausländer und schliesslich musste während der 4. Partie auch noch Torhüter Robin Meyer wegen einer Grippe das Handtuch werfen.
Item, Ende gut, alles gut. Die Rettung Ajoies ist für die gesamte Liga von enormer Wichtigkeit. Sportlich zwar nach wie vor nicht ganz konkurrenzfähig. Aber als «Farbtupfer» haben sich die Jurassier etabliert: Schlau gemanagt, mit einer schmucken, neuen Arena, wirtschaftlich stabil, allenthalben verlässlich und als «Gallisches Dorf» im Imperium der National League mit landesweitem Sympathiebonus.
Es ist ja wahrlich eine ganz besondere Hockeykultur. Was sich an einer kleinen Episode zeigen mag. Für Visp-Center Stefan Mäder (34) war es das letzte Spiel seiner Karriere. Er wird bald Vater und will sich um die Familie kümmern. Damit seine Gattin – sie spielt auf höchstem Niveau Beachvolleyball (Olympia-Bronze 2021) ihre Karriere fortsetzen kann. Vor seinem Wechsel 2021 zu Visp hat er insgesamt sechs Jahre für Ajoie gespielt. Und so eilen Ajoie-Fans herbei, um ihn bei einem Schluck Bier zu verabschieden. Wirklich ein Abschied vom Hockey? Oder könnte es sein, dass er vielleicht doch noch im Amateurhockey weitermacht? Immerhin liegen zwei Klubs (Hockey Huttwil, SC Langenthal) im Einzugsbereich seines Wohnwortes Niederbipp. «Ich habe mich für die Familie entschieden und daneben wird Hockey schwerlich möglich sein.»
Ajoie ist zwar noch nie über den letzten Platz hinausgekommen. «Aber wir machen Fortschritte. Auch wenn es nur kleine Schritte sind», sagt Patrick Hauert. Mit dem Logen-Deal kann das Budget inzwischen auf gut 15 Millionen erhöht werden.
Was die Meinungsmacher der Liga inoffiziell sagen, aber offiziell natürlich niemals bestätigen und von sich weisen wie der Teufel das Abendmahl: Ein Aufstieg von La Chaux-de-Fonds, Olten oder Visp – nur diese drei Klubs hatten ein Aufstiegsgesuch eingereicht – wäre ein Desaster gewesen. Visp, Olten und La Chaux-de-Fonds wären sportlich und wirtschaftlich für die höchste Liga nicht bereit. Schon ein Budget von etwas über 10 Millionen wäre schwierig aufzubringen.
Das Wehklagen über eine modusbedingt praktisch geschlossene National League ist gross, aber unglaubwürdig. Die Anzahl Ausländer ist in der Liga-Qualifikation auf vier festgelegt worden. In der Swiss League sind zwei erlaubt. Es müssen also zwei zusätzlich verpflichtet werden. Wer die Investitionen für zwei zusätzliche Ausländer im Februar scheut oder sie nicht tätigen kann, hat nicht die wirtschaftlichen Grundlagen für die National League. Um es boshaft zu sagen: Der Modus ist eine wohlfeile Ausrede für Teams wie Visp, Basel und letztlich auch Olten, die sich längst bequem in der Zweitklassigkeit eingerichtet haben.
Wer hingegen das Potenzial für die National League hat, kann sehr wohl durch die Ligaqualifikation aufsteigen: Bei 18 Austragungen seit 1999 hat der Sieger der Swiss League immerhin siebenmal den Aufstieg gegen den Gegner aus der höchsten Liga geschafft: Lausanne (2001 gegen La Chaux-de-Fonds und 2013 gegen Langnau), Servette (2002 gegen Chur), Basel (2005 gegen Lausanne), Biel (2008 gegen Basel), Langnau (2015 gegen die Lakers) und die Lakers (2018 gegen Kloten).
Ajoie ist also erst einmal gerettet und hat vorerst von Visp, Olten, La Chaux-de-Fonds und Basel wenig zu befürchten. Aber Achtung: Am Horizont zieht eine grosse Gefahr herauf: Wenn – wie erwartet – das Volk im Juni den Segen gibt, wird Sierre für 80 Millionen einen neuen Hockey-Tempel bauen und will frühestens 2028 in die höchste Liga zurückkehren.
Die Gefahr ist deshalb erheblich, weil der für das Projekt weibelnde Chris McSorley wohl an die Bande zurückkehren wird. Sierre, mit dem Schöpfer des modernen Servette an der Bande, wird ein heisser Aufstiegskandidat sein.
Zwar hat erst Lematin.ch über eine Rückkehr von Chris McSorley ins Trainerbusiness spekuliert. Der flamboyante Kanadier sagt: «Das sind bloss Gerüchte.» Und doch: Macht er sich Überlegungen in diese Richtung? Er könnte ja ein Trainersalär sparen und endlich hätte der Klub nicht mehr Clowns an der Bande. Er gibt zu, dass es tatsächlich Gedankenspiele in dieser Richtung gebe. «Aber mehr nicht.»
Doch Obacht: Eine chinesische Weisheit sagt, am Anfang stehe der Gedanke, dann folge das Wort und schliesslich die Tat. «Ja, ja, aber in meiner Familiengeschichte gibt es keine chinesischen Vorfahren. Wir stammen aus Irland.» Aber gelten die amerikanischen Iren nicht als besonders stur und hartnäckig und lassen, wenn sie sich mal ein Ziel gesetzt haben, nicht mehr davon abbringen? «Da haben sie recht. Ja, ich kann stur und hartnäckig sein …» Also dürfen wir Chris McSorley wohl bald wieder im Trainerbusiness begrüssen.
Gut baut Ajoie jetzt seine Logen. Sozusagen als Arche Noah des jurassischen Hockeys: Sie ermöglichen ein sportliches Aufrüsten, um dem neuen Sierre unter Chris McSorley Paroli zu bieten und zu überleben.