«Football, bloody hell.» Selten hat das Zitat, das der legendäre Manchester-United-Trainer nach dem Sieg in der Nachspielzeit des Champions-League-Finals 1999 gegen Bayern München in die TV-Kameras gesagt hat, wieder so gut gepasst.
Das gestrige Viertelfinal-Rückspiel in der Europa League zwischen Manchester United und Olympique Lyon hätte verrückter kaum sein können. Rollen wir den Fall von hinten auf.
Bereits vor dem Hinspiel war in der Affiche zwischen ManUnited und Lyon ordentlich Zunder drin. Manchester-Goalie André Onana sprach davon, dass sein Team «einfach viel besser» sei als die Franzosen. Lyons Mittelfeldspieler Nemanja Matic konterte: «Wenn du statistisch einer der schlechtesten Torhüter in der Geschichte von Manchester United bist, musst du aufpassen, was du so rauslässt.» Der Serbe hatte ebenfalls einige Jahre beim englischen Rekordmeister gespielt, damals noch mit David De Gea im Tor.
Das Hinspiel in Lyon gab Matic recht. 25 Minuten waren gespielt, als Onana einen eigentlich als Flanke gedachten Freistoss von Thiago Almada passieren liess. Zwar drehten seine Vorderleute die Partie noch – Joshua Zirkzee schoss Manchester United in der 88. Minute mit 1:2 in Führung. Doch sieben Minuten später schlug es hinter Onana abermals ein und die Engländer schenkten den Sieg noch weg.
Vorhang auf für das absolut verrückte Rückspiel in Manchester. Wer gewinnt, zieht in den Europa-League-Halbfinal ein. Zehn Minuten waren gespielt, da gingen die Hausherren bereits in Führung. Manuel Ugarte traf zum 1:0 und Onana konnte es nicht lassen, eine Provokation in Richtung der mitgereisten Lyon-Fans zu schicken.
Und es kam sogar noch besser. In der Nachspielzeit vor der Pause erhöhte Diogo Dalot schon auf 2:0 für ManUnited. Kurs auf Halbfinal? Alejandro Garnacho hätte nach 50 Minuten bereits auf 3:0 stellen können, doch der Argentinier schoss aus bester Position direkt auf den Goalie.
Doch dann der Schock für die Hausherren. Ein Doppelschlag von Correntin Tolisso (71.) und Nicolas Tagliafico (78.) sorgte plötzlich dafür, dass Lyon wieder im Spiel war.
Die Verlängerung kam immer näher, doch plötzlich gab es wieder Good News für Manchester United: In der 89. Minute sah Torschütze Tolisso zum zweiten Mal Gelb und flog vom Platz. Vorteil für die Red Devils in der Verlängerung?
Offenbar nicht. Denn in der 105. Minute, direkt vor dem Seitenwechsel in der Verlängerung, rissen die Gäste aus Frankreich das Zepter wieder an sich. Rayan Cherki liess die mitgereisten Anhänger in der 105. Minute mit dem 2:3 bereits eskalieren – und es kam noch besser. Nur fünf Zeigerumdrehungen später erhöhte Alexandre Lacazette vom Punkt auf 2:4 für Lyon – jetzt musste die Sache doch gegessen sein.
Mitnichten. Denn auch auf der anderen Seite gab es noch einen Penalty. Bruno Fernandes trat an, verwandelte zum 3:4 und brachte so die Hoffnung für Manchester United nochmals zurück. Doch langsam ging den Red Devils die Zeit aus.
Es lief schon die 120. Minute als Kobbie Mainoo das scheinbar Unmögliche schaffte, ausglich und die Gastgeber so schon mal ins Penaltyschiessen rettete. Doch nun hatte ManUnited Blut geleckt. Flanke Casemiro, und ausgerechnet der so oft gescholtene Abwehrchef Harry Maguire köpfelte ein zum 5:4. Lyon am Boden, Lyon gescheitert und Manchester United zog in den Halbfinal ein.
Manchester United krönte sich so zum ersten Team in der Geschichte des Fussballs, das in einem europäischen Wettbewerb zwei Tore in der 120. Minute schoss.
120 - Manchester United are the first team in history to score two goals in the 120th minute of a major European match. Amorimtime. pic.twitter.com/d9VCeb0Wiq
— OptaJoe (@OptaJoe) April 17, 2025
Eigentlich wäre die Reihenfolge dieser Wörter ja umgekehrt. Aber diese Version beschreibt besser, was dieser junge Manchester-United-Fan gestern durchgemacht hat. Nach dem 2:4 war er bitter enttäuscht, den Tränen nahe.
Natürlich hielt das spektakuläre Ende der Partie auch kaum einen Kommentator auf seinem Stuhl. So hat etwa der Radio-Kommentator der britischen BBC das Siegtor von Maguire begleitet.
Aber auch der holländische Kommentator ging ziemlich ab und war dabei noch kreativ. Kobbie Mainoo bezeichnete er als «Stockport Seedorf» und nach dessen spätem Ausgleich meinte er: «Was für ein Drehbuch! Wenn du das nach Hollywood schickst, schicken sie es dir wieder zurück.»
Manchester-United-Trainer Ruben Amorim war nach dem Last-Minute-Spektakel überraschend gefasst. «Ich wusste, dass hier in diesem Stadion alles möglich ist. Nach dem Penalty von Bruno wussten wir, dass wir den Verlauf dieses Spiels noch ändern können», sagte der Portugiese.
Den Red Devils bietet sich jetzt die Chance, eine verkorkste Saison noch zu retten. In der Liga liegen sie nur auf Platz 14, weit entfernt von den europäischen Plätzen. Doch wenn sie die Europa League gewinnen, sind sie nächste Saison trotzdem für die Champions League qualifiziert. Entsprechend kündigte Amorim an: «Wir müssen uns jetzt voll auf die Europa League konzentrieren. Die Fans müssen verstehen, dass wir in der Liga bei der Aufstellung auch mal etwas riskieren müssen und jüngere Spieler aufstellen.»
Natürlich gab es für die oft sehr sensationalistische englische Medienlandschaft nach so einem verrückten Spiel kein Halten mehr. In Frankreich herrschte dagegen grosses Entsetzen. Einige Beispiele:
🗞️ La une du journal L'Équipe du vendredi 18 avril 2025
— L'ÉQUIPE (@lequipe) April 18, 2025
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Im Halbfinal der Europa League trifft Manchester United nun auf Athletic Bilbao. Den anderen Finalteilnehmer machen die norwegische Sensationsmannschaft Bodö/Glimt und Tottenham unter sich aus. Die Hinspiele steigen am 1. Mai, die Rückspiele finden eine Woche später am 8. Mai statt.
Danke für diesen unvergesslichen Abend.
Glory Glory Man United ❤️