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Ski-WM Saalbach: Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann im Interview

Urs Lehmann, Co-President of Swiss-Ski Federation, poses during the first run of the women's Slalom race at the 2025 FIS Alpine World Ski Championships, in Saalbach-Hinterglemm, Austria, Saturday ...
Urs Lehmann blickt im Interview auf die WM zurück. Bild: keystone
Interview

Urs Lehmann: «Eine zu starke Dominanz kann für das Gesamtkonstrukt ein Risiko bedeuten»

Swiss Ski blickt auf die zweiterfolgreichste WM aller Zeiten zurück. Im Interview spricht Präsident Urs Lehmann über Kritik und Wachstum und er sagt, warum dem Skisport zu grosse Dominanz einer Nation nicht guttut.
17.02.2025, 14:0017.02.2025, 14:15
Martin Probst, Saalbach / ch media
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Fünfmal Gold, insgesamt dreizehn Medaillen – die Schweizer Athletinnen und Athleten haben an der Ski-WM in Saalbach-Hinterglemm für einen Grosserfolg gesorgt. Entsprechend stolz ist auch Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann.

Sie haben noch alle Haare. Wie froh sind Sie, dass Sie nach der Abfahrt der Männer nicht in der Nähe des Teams waren, als der Rasierer herumging?
Urs Lehmann: Extrem froh, weil ich sicher bin, dass auch ich nicht ungeschoren davongekommen wäre. (Lacht.)

«Diese WM in Saalbach, was wir hier erlebt haben, war der bisherige Höhepunkt.»

Ihr Grinsen dürfte nach dieser WM aber sowieso so breit sein.
Es ist wirklich ein schönes Gefühl. Aber auch eine Genugtuung, dass wir geliefert und Historisches geschafft haben. Wir haben uns zuletzt oft gesteigert und neue Höhen erreicht. Aber diese WM in Saalbach, was wir hier erlebt haben, war der bisherige Höhepunkt.

Fast wie in an der WM in Crans-Montana 1987, als die Schweiz vierzehn Medaillen gewann.
Wir sprechen im Vorfeld ja nie von Medaillen. Aber dass wir dreizehn Medaillen gewinnen konnten, toppt die Erwartungen. Es ist schön, ein Teil davon gewesen zu sein. Dieses Gefühl hatte ich bei allen, die für Swiss-Ski im Einsatz waren. Geschichte wird schliesslich nicht immer geschrieben.

Nochmals zurück zu den Glatzen im Schweizer Männerteam: Selbst die Trainer und Funktionäre machten mit. Haben Sie eine Erklärung für diesen unglaublichen Teamgeist?
Es gibt verschiedene Ansatzpunkte. Da ist natürlich Marco Odermatt als Topsportler und absolute Integrationsfigur. Dazu kommt eine enorm starke Achse. Mit Männercheftrainer Tom Stauffer als Mastermind und Chefstratege. Mit Franz Heinzer und seinem Team als Topausbildner im Europacup. Aber auch mit Reto Nydegger als Abfahrtstrainer. Er war lange in Skandinavien beschäftigt. Und die Norweger gelten ja als Musterbeispiel für Teamspirit. Diesen Gedanken hat er mitgebracht.

Die wilden «Frisuren» der Schweizer Skirennfahrer nach WM-Gold

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Die wilden «Frisuren» der Schweizer Skirennfahrer nach WM-Gold
Bilder für die Ewigkeit. Die Schweizer Abfahrer und ihre Trainer erschienen bei der Siegerehrung der WM-Abfahrt 2025 mit spektakulären Frisuren und sorgten für Schlagzeilen über die Landesgrenze hinaus.
quelle: keystone / jean-christophe bott
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Man hat aber nicht nur im Speedteam der Männer das Gefühl, dass es derzeit harmoniere.
Das schwappt natürlich über, weil alle sehen, was dieser Teamgeist ausmachen kann. Wenn ich beispielsweise an Lara Gut-Behrami und Wendy Holdener in der Team-Kombination denke, wie die miteinander umgegangen sind, ist das für mich etwas Neues, etwas Hochemotionales.

Lara Gut-Behrami als Teamplayerin – das hätte man sich lange nicht vorstellen können.
Genauso ist es. Es hiess so lange: «Schade, fährt Lara nie fürs Team.» Jetzt hat sie es gemacht.

In Ihren Anfangszeiten, als der Aufschwung nicht sofort einsetzte, hiess es am Stammtisch: «Der Fisch stinkt vom Kopf.» Ist es für Sie eine Genugtuung, dass Sie es allen zeigen konnten?
Nein, das muss man rational sehen. Mich hat man nach der medaillenlosen WM 2005 in Bormio in den Verband geholt (noch nicht als Präsident; Anm. d. Red.). Ich war schon als Athlet und auch danach ein starker Kritiker des Verbands, weil ich sagte, er mache viel zu wenig aus seinem Potenzial. Dann hiess es: «Also, jetzt musst du aber selbst Verantwortung übernehmen.»

Und das gefiel nicht allen.
Wenn man dann einen Turnaround einleitet, wenn verdiente Leute, die ewig dabei waren, nicht mehr in die neue Strategie passen, ist es klar, dass man gewisse Menschen vor den Kopf stösst. Das war unangenehm. Es hiess da und dort: «Was will dieser junge Schnösel?» Und wir haben ja auch nicht von Beginn an überall die richtigen Personalentscheidungen getroffen. Wir haben Fehler gemacht, dazu stehe ich. Aber ich arbeitete mit Konsequenz an meiner Traumstruktur.

Wie meinen Sie das?
Ich wollte auf jeder Position den besten Mann oder die beste Frau. Und das war ein Prozess. Nehmen wir Tom Stauffer: Sechs Jahre hat es gedauert, bis ich ihn überzeugen konnte, zu uns zu kommen. Bei Walter Reusser (heute CEO bei Swiss Ski; Anm. d. Red.) ist es sogar sieben Jahre gegangen vom ersten Gespräch, das wir führten, bis ich ihn für Swiss Ski überzeugen konnte.

«Es ist eine hohe Kunst, dieses Konstrukt stabil zu halten.»

Geduld zahlt sich also aus.
Es geht auch andersherum. Reto Nydegger wollte währen der Krise im 2013 Cheftrainer bei uns werden. Aber ich habe gesagt: «Du hast Potenzial, aber du bist noch nicht bereit.» Dann hat er mir Schimpf und Schande gesagt – wie andere übrigens auch. Allerdings war er konsequent und ging zu den Norwegern. Aber wir blieben stets in Verbindung. Und dann kam er zurück zu uns.

Sie sprachen von Ihren Traumstrukturen: Wie nahe sind Sie diesen schon?
Sehr nahe. Aber jetzt kommt die nächste Herausforderung: Gewisse Leute sind schon lange auf ihren Posten und haben nun vielleicht Lust, etwas anders zu machen. Darum müssen wir dieser Struktur grosse Sorg tragen. Und vielleicht auch gewisse Impulse setzen am einen oder anderen Ort, ohne das Ganze zu gefährden. Es ist eine hohe Kunst, dieses Konstrukt stabil zu halten.

Seit Sie 2008 Präsident wurden, hat sich das Budget von Swiss Ski vervierfacht. Man spricht von rund 100 Millionen Franken pro Jahr und Saison, die zur Verfügung stehen. Stimmt das?
Wenn man alle Bereiche zusammenzählt, kommen wir in die Nähe.

Muss Swiss Ski weiterwachsen, oder ist der Zenit erreicht?
Es muss weitergehen. Wir haben immer eine Strategie für drei bis vier Jahre. Aktuell wollen wir um weitere zehn Millionen Franken wachsen. Wir haben einen klaren Plan, wie wir das erreichen wollen. Und wir müssen das auch. Ich war selbst Sportler: Wenn du da nicht jeden Tag mit dem Anspruch ans Werk gehst, besser zu werden, dann überholen dich andere früher oder später.

Aber droht dem Skisport nicht je länger, je mehr eine Zweiklassengesellschaft? Es gibt kaum noch Nationen – ausser vielleicht Österreich -, die mit Swiss Ski mithalten können.
Das ist ein wichtiger Punkt. So schön ist es, dass wir an dieser WM so wahnsinnig viele Medaillen gewannen – mit Blick in die Zukunft ist das gefährlich. Gemäss meiner Rechnung haben wir gemeinsam mit Österreich rund 60 Prozent der Medaillen geholt. Das sorgt bei uns für Euphorie. Aber wenn wir den Skisport weitbringen wollen, ihn grösser machen, und somit auch uns, braucht es Konkurrenz. Es gibt nichts Schlimmeres als Dominanz. Nehmen wir Langlauf, das Produkt ist heute viel weniger wert als noch vor zehn Jahren, weil die Norweger so dominieren.

Gold medalist Franjo von Allmen of Switzerland celebrates during the podium ceremony of the men's Downhill race at the 2025 FIS Alpine World Ski Championships, in Saalbach-Hinterglemm, Austria, S ...
Franjo von Allmen kürte sich an der WM zum Weltmeister.Bild: keystone

Ein gutes Beispiel dafür ist die Abfahrt. Viele Nationen bringen keine Abfahrerinnen oder Abfahrer mehr heraus, weil sie es sich nicht mehr leisten können.
Das ist definitiv so. Und wir arbeiten daran, dem entgegenzuwirken. Von der neuen strategischen Partnerschaft zwischen Swiss Ski und Zermatt werden auch die anderen Nationen profitieren. Zermatt ist das höchstgelegene Gletscherskigebiet mit den besten Voraussetzungen für Speed-Trainings in Europa – es sind gute Nachrichten für die ganze Skiwelt, dass Zermatt und wir nun eine langfristige Vereinbarung bis 2034 abgeschlossen haben. Wir wollen auch jungen Athletinnen und Athleten anderer Nationen die Möglichkeiten geben, Abfahrt zu trainieren.

«Es braucht eine Asien-Tournee. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, welches Potenzial dort herrscht.»

Gleichzeitig hat diese WM wieder gezeigt: Der Ski-Sport ist ein Produkt der Alpen. Er ist fast schon gefangen darin. Glauben Sie wirklich, dass der Sport global gesehen wachsen kann?
In den nächsten fünf bis zehn Jahren – oder vielleicht auch länger – wird das Epizentrum weiterhin im Alpenraum sein. Mit dem Ziel, die USA und Kanada weiter einzubinden und zu stärken. Aber langfristig müssen wir den asiatischen Markt erobern und in unsere Pläne einbauen. Das ist dem Internationalen Skiverband FIS bisher nicht gelungen. Dabei bestünde enormes Potenzial.

Ist das nicht Wunschdenken? Bisher hat kein Versuch, Asien zu erschliessen, funktioniert.
Es braucht eine Asien-Tournee. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, welches Potenzial dort herrscht. Wenn wir uns diesem riesigen Markt als Skisport verschliessen, wäre das fahrlässig.

Wie würden Sie es machen?
Wir brauchen Südkorea, China und eventuell auch noch Japan. Die muss man abholen. Diese Märkte haben derzeit das grösste kommerzielle Potenzial. Aber ich sehe auch einen Markt in Südamerika. Und auch in Neuseeland gibt es eine Skikultur, die man nutzen könnte und sollte.

Wie soll das gehen? Die Athleten beschweren sich schon jetzt über das dichte Weltcup-Programm.
Südamerika und Neuseeland wären kein Problem. Die meisten Teams trainieren im Spätsommer in der südlichen Hemisphäre. Man könnte ohne weiteres das eine oder andere Rennen fahren.

Und Asien? Dort ist gleichzeitig Winter wie bei uns.
Da habe ich ganz ehrlich gesagt auch noch kein Patentrezept dafür. Klar ist, eine solche Tournee müsste schon zwei bis drei Wochen dauern, damit man sie nachhaltig einführen könnte.

«Es ist unbestritten, dass wir nicht zufrieden sind, wo der Internationale Skiverband heute steht.»

Da haben wir es: Es gibt einfach keine Lösung.
Falsch. Man muss das sicher gut anschauen. Es gibt Wege. Ich war schon mehrmals in Asien. Wir dürfen uns dem nicht verschliessen.

Sie kritisieren, dass die FIS zu wenig tut. Ist das Verhältnis noch immer so angespannt?
Es ist unbestritten, dass wir nicht zufrieden sind, wo der Internationale Skiverband heute steht. Aber ich bin der Meinung, dass wir endlich aufhören müssen zu politisieren und dafür anfangen, zusammenzuarbeiten. Wir müssen den Schneesport vorantreiben, sonst kommt es nicht gut.

Hat Swiss Ski deshalb der zentralen Vermarktung durch die FIS zugestimmt?
Ja. Würden wir unsere Rennen weiterhin selbst vermarkten, könnten wir eventuell sogar mehr herausholen als mit diesem Modell. Aber wenn man die Kräfte bündelt, wird man irgendwann mehr Kraft entfalten können, als wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht. Davon bin ich überzeugt.

Trotzdem macht Österreich nicht mit.
Das bedauere ich. Es heisst aber nicht, dass das System nicht funktioniert. Aber man erzielt so nicht den maximalen Wert für das Gesamtprodukt. Weil nicht alle Kräfte auf den Boden kommen.

Sie setzen das Gemeinsame über den eigenen Erfolg?
Ein Stück weit schon. Würden wir unseren Weg ganz allein gehen, gäbe es vielleicht irgendwann nur noch uns und Österreich. Aber man kann nur in einem wachsenden System selbst wachsen.

Weil der Weltcup sonst irgendwann nur noch eine Schweizer Meisterschaft wäre.
Das haben jetzt Sie gesagt. Wir müssen dem Skisport Sorge tragen. Eine zu starke Dominanz einzelner Nationen kann für das Gesamtkonstrukt ein Risiko bedeuten. (riz/aargauerzeitung.ch)

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Alle Schweizer Medaillengewinner der Ski-WM 2025 in Saalbach
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